Sind abwechslungsreiche Retrospektiven ein Irrweg?

Sind abwechslungsreiche Retrospektiven ein Irrweg?

Abwechslungsreiche Retrospektiven gelten als das vermeintliche Ideal, damit ein Scrum Team aus immer neuen Perspektiven lernen kann und Anstöße erhält. Das scheint mir in der agilen Community weitestgehend der Konsens zu sein. Was sich hier für mich bewährt hat, erfährst hier im Podcast.

Retrospektiven lassen sich meist in zwei Kategorien einlesen.
Entweder werden Retrospektiven so minimalistisch gemacht, dass man es fast schon lassen kann, oder sie werden mit sehr viel Passion abwechslungsreich gestaltet.
Letzteres ist das, was in den meisten Büchern und auch in der Community empfohlen wird.

Und es ist nur allzu verständlich, warum dieser Weg logisch und attraktiv wirkt.
Schließlich sieht man als Scrum Master viele Perspektiven, wo sich das Team verbessern kann
und es fühlt sich ja auch schon so an, wenn man die Retro gestaltet und hier mal richtig was aufzeigt.

Was spricht denn gegen solche abwechslungsreichen Retrospektiven?

Was natürlich auch die Frage aufwirft, warum sich der Scrum Master im Scrum Team dazu berufen fühlt, derjenige zu sein, der dieses Event so stark mit seinen Formaten inhaltlich prägen möchte. Aus dem Scrum Guide als offizielle Beschreibung der Regeln zu Scrum kommt dies jedenfalls nicht her. Da steht in der aktuellen Fassung nur drin, dass er dafür sorgt, dass diese stattfinden und produktiv sind.
Für eine Gruppe, die sich eigentlich selbst managed, könnte man auch die Frage aufwerfen, ob die inhaltliche Steuerung durch die jeweils gesetzten Formate nicht sogar übergriffig sind. Für mich sind sie oft näher an dem Verhalten von Helikopter Eltern, als an dem, was ich im Umgang mit verantwortungsvollen Erwachsenen erwarten würde.

Wenn du jetzt als Scrum Master sorgen hast, dass in einem freieren wiederkehrenden Format nicht die „richtigen“ Themen in der Retrospektive eingebracht werden, was sagt das dann über euren Scrum Rahmen aus? Nach meiner Erfahrung führt ein gut funktionierender Scrum Rahmen dazu, dass die Mitglieder die richtigen Themen in die Retrospektive mit einbringen wollen und werden.
Besonders spannend zu diesem Thema fand ich die fehlende externe Referenzierung die der ehemalige Hockey Bundestrainer Stefan Kermas in unserem Austausch zu Olympia gesagt hatte. Würde ein Scrum Team beispielsweise aus dem Review einen guten Eindruck mitnehmen, wie der Sprint gelaufen ist und wie die Ergebnisse ankamen, dann ist es aus meiner Erfahrung ein wirklich guter Anstoß, um die Retrospektive als geschützten Raum aufbauend zu nutzen.
Retrospektiven existieren in Scrum nicht isoliert und doch werden sie viel zu oft isoliert betrachtet. Anstelle also dich obsessiv auf die Retro zu stürzen und die Themen für die Retro zu setzen würde ich dir empfehlen erstmal zusammen mit dem Scrum Team den Rahmen zu reflektieren und zu schärfen.

Im Vergleich zur Moderation in der Retro durch den Scrum Master, steht das nämlich explizit im Scrum Guide und wird doch viel zu wenig gemacht. Als Hilfsmittel möchte ich dir hierzu meine Scrum Checkliste ans Herz legen. In dem Artikel „der Scrum Master als Hüter des Scrum Rahmens“ zeige ich nochmal ausführlich auf, wie man diese Checkliste hier gut zur Reflexion mit dem Scrum Team nutzen kann.Anstelle von immer neuen Formaten in der Retrospektive arbeite ich deswegen mit einem festen Rahmen, der sich nur an wenigen Stellen von Retro zu Retro ändert. Die wirklich entscheidenden Themen lassen sich in einer Retro nicht lösen und das Format gibt uns effektive Möglichkeit Themen erneut aufzugreifen, um dann tiefer zu gehen und nachzusetzen. Der wiederkehrende Ablauf macht es dabei leichter für die Teilnehmer sich hier einzubringen, wo viele der wechselnden Formate eher so wirken, als ob man die Teilnehmer fast schon überrumpeln will und so aus der Reserve locken will. Durch einen wiederkehrenden Ablauf ist es leichter zu moderieren.

Mein präferiertes Format als Alternative zu abwechslungsreichen Retrospektiven

Auch wenn ich deutlich mehr wiederkehrende Elemente in dieser Retrospektive benutzte, orientiert sich dieses Format an den typischen 5 Phasen einer Retrospektive, die ich in der vorherigen Podcast-Folge zu Retrospektiven behandelt habe.

– Der Einstieg in die Retro -> “set the stage”
– Daten und Eindrücke sammeln
– tiefere Einsichten gewinnen
– Aktionen konkretisieren
– Abschluss

Der Einstieg in die Retro – “set the stage”
1. Haben wir unsere Action- Items gemacht?
2. Haben sie das Problem gelöst oder zumindest etwas in der Richtung bewegt?
3. Ist dies überhaupt das richtige Problem gewesen oder machen wir hier nur Symptombehandlung?

Die letzte Frage lasse ich aber auch häufiger weg…

Daten und Eindrücke sammeln
Es geht darum entweder im Termin oder vorher einen gemeinsamen Eindruck zu gewinnen, um sich aufbauend Schwerpunkte tiefer anzugucken. Hier ist der Punkt, wo ich dann doch ein wenig variiere.

– Timeline
– Brainwriting zu verschiedenen klugen Kategorien
– Skalierungsfragen

Hier greife ich gerne auf den Retromaten zurück.

Tiefere Einsichten gewinnen
Wenn es aber zur Auswahl der Themen geht und wie wir diese aufarbeiten, dann weiche ich ab von den gängigen Formaten. Üblicherweise versuche ich hier kleine Gruppen zu bilden.
Personen dürfen ein Thema vorschlagen und wenn sie genügend Mitstreiter finden, wird dies in einer Breakout Session aufgearbeitet.

– Direkte Eingrenzung
– Dot Voting ist eh Mist …

Diese Gruppen arbeiten ihr Thema auf nach
– Was ist das Problem
– Was ist der Hintergrund? (Ursache)
– Konkrete Lösungsvorschläge

Diese stellen wir dann im Team vor und schaffen Raum für einige Rückfragen.

Dieses Format hat den Vorteil
– Einfach
– Fokussiert
– und Themen lassen sich beim nächsten mal wieder aufgreifen

Concrete Actions
Aufkauf auf der obigen Übung bekommen die Gruppen nochmal 5min ihre Vorschläge so konkret zu machen, dass sie auch im kommenden Sprint passieren.

Das hat den Vorteil:
– das relativ natürlich, ohne viel zutun vom Moderator, Themen konkreter gefasst werden.

Abschluss
– Retro zur Retro oder Appreciation

 

Fazit zu diesem Format

Mit diesem Format fahre ich insgesamt sehr gut.
Es macht es leicht frische Scrum Master einzustellen.
Es findet ohne viel Tamtam statt. (der in relativ vielen Umgebungen eher skeptisch gesehen wird) Aber vor allem gibt es einen extrem wirkungsvollen Rahmen bei den eigentlichen Problemen nachzusetzen.

Das heißt schaut eine Gruppe zurück auf ein altes Thema, dann kommt zur Sprache
– das ist eigentlich gar nicht das Problem
– das ist auch nicht die Ursache
– Und entsprechend ist das auch nicht die Lösung

Wir häuten sukzessive die Zwiebel zum Kern und das auf einer recht natürlichen Art und Weise, wo wir keine großen Klimmzüge machen müssen. Wir schaffen einen Raum der den Rahmen zu Reflexion aus dem heraus ein Team wachsen kann. In Scrum hießen die Events mal Zeremonien. Nach meinem Verständnis, können sie wie Rituale ablaufen und diese Rituale helfen uns dann, dass wir uns nicht ablenken lassen und sich jeder einbringen kann. Wie dies mit ständig wechselnden Formaten erreicht werden kann ist mir da ein Rätsel. Ich ehrlicherweise habe aufgehört in diese Richtung zu gehen, weil der hier beschriebene Weg für mich reproduzierbar gut funktioniert.

Aufbauender Austausch mit Jonathan Frankenberger

Gerade weil ich sehr kritisch auf abwechslungsreiche Retrospektiven geschaut habe, ist ein spannender Austausch mir Jonathan Frankenberger entstanden.

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Ralf Kruse