Den Anstoß für die Folge hat eine LinkedIn Umfrage von Roman Simschek gegeben. Seine Umfrage zur Entwicklung des agilen Markts hat mich zum nachdenken gebracht, ob wir in der weiteren Entwicklung in der Breite nicht auch bei Agilität immer weiter verflachen und aushöhlen. Danke nochmal für den tollen Denkanstoß für diese Folge!
Dazu möchte ich auf folgende drei Themen genauer schauen:
- Das rasante Wachstum an agilen Coaches und Scrum Mastern
- Welches Problem haben wir denn wirklich in der Breite gelöst?
- Wie ich aus der Entwicklung der letzten Jahre auf das Jahr 2022 schaue
Alle 2 Jahre verdoppelt sich die Anzahl an Agile Coaches und Scrum Mastern
Diese Zahl ist nicht sauber belegt, ich habe sie irgendwo aufgegriffen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich gefühlt jeder in der agilen Szene im deutschsprachigen Raum untereinander kannte. Deswegen wirkt diese Wachstumskurve auf mich durchaus plausibel.
Grundsätzlich hat eine solch rasante Entwicklung ja eigentlich auch was Gutes. Es heißt ja, das Thema wird von immer mehr Menschen aufgegriffen und kann an vielen Stellen eben auch eine gute Antwort auf die neuen Herausforderungen sein, die wir jeweils vor uns haben.
Das würde aber auch heißen, dass die meisten Agilsten zwei oder weniger Jahre Erfahrung haben und da wird es spannend…
Mein Eindruck ist nämlich, dass viele Agilsten versuchen das Thema aus einer inhaltlichen Souveränität zu vertreten und das passt so gar nicht zu dem Aspekt, dass wir so viele neue Leute mit zwei Jahren oder weniger auf dem Markt haben. Entweder gaukeln hier viele Leute eine Expertise vor, die sie so gar nicht haben, oder aber in der agilen Szene bekommen nur wirklich erfahrene Leute die meiste Aufmerksamkeit. Vermutlich haben wir hier eine Mischung aus beidem, wobei ich beides für suboptimal halte.
2020 hatte ich mal eine Umfrage gemacht und in einem Telefonat warf mir mein Gegenüber an den Kopf: „Wieso ist es nicht Usus in der agilen Szene das Wissen über ein neues Thema vorzugaukeln bis man daraus die Gelegenheit bekommt dies auszuprobieren und so zu einer Case-Study zu kommen.“ Das hatte mich ein wenig getroffen und verwundert, weil das meinem gesamten Selbstverständnis von Agilität widerspricht. Ich musste einige Tage drüber nachdenken und dabei wurde mir klar: „Sie hat recht!“ und das ist ein riesen Problem, weil es den Grundlagen widerspricht, was Agilität auszeichnet, nämlich das gemeinsame offene Lernen aus der Erfahrung.
Genau hier liegt oft der Kern dysfunktionaler agiler Umgebungen. Hier wird nicht versucht gemeinsam zu Produkt und Arbeitsweise zu lernen. Hier wird versucht mit Kochrezepten den Chefkoch zu mimen und so das ganze Thema ad absurdum zu führen. Mir geht es nicht um Definitionen, dass es anders gedacht war. Mir geht es darum, dass es die Probleme nicht löst und oft nur neue schafft, nur um aufbauend darüber schimpfen zu können, dass agiles arbeiten nicht funktioniert.
Aber das Problem ist noch viel größer. Es scheint mir nämlich auch viele Multiplikatoren zu geben, die genau diese Haltung weitergeben. Was dieses Problem größer und größer macht.
Egal wie viel Erfahrung wir haben, wir sollten hier selbstkritischer mit uns sein und eben auch klar ausdrücken, wo wir mit unserer Expertise an unsere Grenzen stoßen und wie wir anderen helfen können Agilität als gemeinsames Lernen zu Produkt und Arbeitsweise zu verstehen.
Ich glaube ich hatte 2021 auf LinkedIn angefangen immer auch mal wieder Fragestellungen, die mich wirklich beschäftigen auf LinkedIn zu teilen. Dazu hatte ich dann ganz bewußt auch meine Perspektive geteilt mit dem Wunsch auch eure Perspektiven zu hören und zu verstehen. Ich würde mich freuen in dieser Richtung ehrliche Einladungen zum Austausch auf LinkedIn zu sehen 🙂
-> Fehlende Offenheit für Neulinge
Aber auch selbst wenn nur erfahrene Leute sprechen, dann fehlt der Raum in dem Leute mit weniger als 2 Jahren Erfahrung ihre Erfahrungen, Herausforderungen und Learnings teilen. Das finde ich nämlich gar nicht so leicht. Sowohl für mich selbst, aber auch grundsätzlich in der agilen Szene. Ja, wir haben vermeintlich offene Plattformen.
Auf LinkedIn kann jeder was posten, aber wer traut sich wirklich mal eine offene Perspektive zu teilen. Gefühlt ist ja nur ein kleiner Prozentsatz der Leute auf einer sozialen Plattform, die etwas posten oder kommentieren. Das hat bestimmt nicht damit zu tun, dass diese Leute keine Meinung haben oder spannende Erfahrungen von den wir alle noch was lernen können. Vermutlich hat es auch damit zu tun, dass dies ein Ort ist, der eben auch einschüchtern kann. Ein wenig, wie die Business Version von Instagram, wo manche Leute auf den dort perfekt inszenierten Perspektiven sich in Magersucht und Depression getrieben fühlen. Ich jedenfalls würde mir wünschen mehr Meinungen aus der gesamten Breite der Agilität zu lernen und eben nicht nur von “Lautsprechern”.
Aber auch vermeintlich offene Formate, wie ein Open Space oder Lean Coffee sind vielleicht nur auf den ersten Blick offen. Auf den zweiten Blick kommt die Frage auf, wer teilt hier seine Themen? Ich kenne viele Leute, die spannende Themen hätten und diese eben nicht einbringen können. Was ich sehr bedaure. Auf dem Agile Coaching Retreat 2019 hatte ich übrigens dazu mit Daniel Hommel zusammen das sammeln von Themen bewusst anders organisiert. Wir hatten jeden darum gebeten, sein Thema auf ein A4 Blatt zu schreiben und sich dann in Gruppen mit ähnlichen Themen zusammenzufinden. Es gibt bestimmt viele Methoden, aber es geht auch anders!
Für 2022 würde ich mir wünschen, dass wir Wege finden weiteren Stimmen Gehör zu verschaffen. Lass gerne von dir hören, wenn du dazu Ideen hast, wie wir dies stärker ermöglichen können.
Um einen stimulierenden Raum zum Austausch für Neulinge und alte Hasen zu schaffen, habe ich mich entschlossen, meine “Scrum meistern Community” auch für DICH zu öffnen. Diese hatte ich eigentlich nur für den Austausch unter den Teilnehmern in meinem Online Programm für agile Praktiker geschaffen. Ich habe dabei aber viel gelernt, wie man einen Raum für einen effektiven Austausch schafft und möchte den jetzt breiter nutzen und anbieten.
Hier werde ich ab Januar regelmäßig reflektierende Fragen als Anstoß und weitere Inhalte teilen. Würde mich sehr freuen, wenn du mit dabei bist, und wir gemeinsam voneinander Lernen können.
Welches Problem haben wir denn wirklich in der Breite gelöst?
Wie ich aus der Entwicklung der letzten Jahre auf das Jahr 2022 schaue
- Wie strukturieren wir die Transformation?
- Welche Unterstützung sollten wir uns dazu einholen?
- Welche Kapazitäten sollten wir intern aufbauen?
-> Skalierung Frameworks
Skalierung Frameworks erfreuen sich seit einigen Jahren einer zunehmenden Beliebtheit. Als ich vor über 10 Jahren angefangen hatte gab es keine und vielleicht war dies sogar besser zum Aufbau leistungsfähiger agiler Umgebungen, da man bewußt und gemeinsam die Umgebung gestaltet hat. Klienten hatten damals schon nach klaren Strukturen geschrien, an denen sie sich orientieren konnten und solange es keine gab, musste man sich hier gemeinsam vortasten.
Erst Jahre nach dem vor allem SAFe aufgekommen war, ist mir deutlich geworden, wie ignorant und wenig kundenorientiert dieses Vorgehen war.
Was uns zu der heutigen Situation führt: Organisationen wollen sich mit Agilität grundlegend neu erfinden und wählen die agile Arbeitsweise aus, die für sie aus diesem alten Verständnis am sinnvollsten aussieht. Der fundamentale Widerspruch in der Auswahl des Rahmens zu den eigentlich gesetzten Zielen bleibt dabei in der Regel unbemerkt. So konnte sich SAFe als beliebtester Skalierungansatz extrem gut verbreiten, weil das Big Picture eine gute Orientierung für einen neuen Zielzustand liefert, es viele Fortbildungspfade und eine Sammlung von guten Praktiken gibt. Das kann man gut finden oder nicht, aber man sollte es als Realität anerkennen.
- Natürlich unterstütze ich auch Organisationen die mit SAFe arbeiten. Es gibt hier viele Stellen, wo man helfen kann.
- Natürlich führe ich auch organisatorische Assessments durch mit denen wir helfen die Kernprobleme so herauszustellen, dass man nicht nur in eine Sympthombehandlung verfällt
- Und natürlich respektiere ich, wenn sich Leute für SAFe entscheiden. Ich schaue eben nur wo ich sie in welcher Form konsequent unterstützen kann und jede Umgebung ist anders
- Organisationen punktuell in ihren Transformationen unterstützen, gerade im Aufbau interner Kompetenzen und des Führungsteams
- Unser Schwerpunkt wird übrigens auch nicht sein, dass wir versuchen auf große SAFe Ausschreibungen zu gehen und Leute bekehren zu wollen, von ihrer bereits getroffen Entscheidung mit diesem Rahmenwerk zu arbeiten. Hier gibt es viele Leute die sich genau diesem Thema verschrieben haben. Vielleicht weil ich hier von ihnen noch was lernen kann, wie man damit Organisationen effektiv helfen kann oder vielleicht weil sie opportunistischer auf das Angebot ihrer Leistungen und ihre Wirkung gucken.
- Ich möchte aus den Erfahrungen der letzten Jahre ein Programm zur Hilfe von gescheiterten Transformationen aufbauen und insbesondere mit SAFe-Einführungen, wo man viele Reibungspunkte hat.
- Können anders Beziehungen aufbauen und aus dieser Beziehung anders wirken
- Haben keine Interessenkonflikte aus dem was eine externe Organisation erreichen will
- Können offener mit Nichtwissen umgehen
- Auf Dauer sind sie günstiger und können so eher als dauerhafte Impulsgeber institutionalisiert werden
- Da sie nicht Teil des System sind können sie anders agieren
- Profitieren von Erfahrungen aus anderen Organisationen, denen sie in ähnlichen Situationen geholfen haben
- Gerade in der Anfangsphase können deswegen Externe einen wichtigen Beitrag leisten, um hier eine neue wirkliche Aufstellung anzustoßen.
- Können gezielt Kompetenzen einbringen, die aktuell Intern fehlen und aufgebaut werden sollen
- Wie sich hier interne und externe effektiv unterstützen können
- Aus welcher Haltung Externe agieren müssen, damit sich auch wirklich ein Mehrwert für eine Organisation sind.
Was ist deine Meinung zu diesem Thema?
-> Online Formate zur Wissensvermittlung
Online Formate werden auch nach der Pandemie als spannender neuer Kanal zum Kompetenzaufbau bleiben.
Für mich funktionieren meine Einstiegstrainings für Scrum Master und Product Owner auch remote so gut, so dass ich diese gerne auch nach der Pandemie remote halten möchte. Wobei man hier natürlich nicht das volle Potential nutzt, wenn man einfach alte Offline-Formate Online weiterlebt, sondern wenn man es schafft die Besonderheiten von Online-Settings für die Wissensvermittlung zu nutzen. Gerade das offene Simulationen auf Krampf in Online Versionen sortiert wurden, hat mich nachhaltig irritiert.
Über das Online Programm zum Responsibility Process von Christopher Avery hatte ich über mehrere Jahre gelernt, dass auch remote ein wirklich tiefgreifender Austausch unter Praktikern möglich ist und man so in regelmäßigen kürzeren Sessions zusammenkommen kann. Aus diesem Hintergrund hatte ich seit Jahren an meinem Online Programm für agile Praktiker gefeilt und den Fokus auf den strukturierten Austausch zu den echten Herausforderungen der Teilnehmer gesetzt. Seit Anfang diesen Jahres läuft dieses Programm. Ich bin unglaublich stolz, wie die Teilnehmer über diesen Austausch eben nicht nur neue Ansätze zu ihren aktuellen Herausforderungen gewinnen, sondern eben aus der Struktur heraus sich systematisch weg vom “Kümmerer” hin zum Enabler entwickeln. Aber auch ich lerne ungemein viel aus diesem Austausch.
- Was die typischen Herausforderungen sind
- Wie man effektive Anstöße aus dem Hintergrund setzt
- Wie der Rahmen hilft sich wirklich weiterzuentwickeln
Fazit